Der Spätkauf, von den meisten „Späti“ genannt, gehört zum festen Bestandteil der Berliner Kiezkultur. Er ist nicht nur eine Notlösung, wenn die Supermärkte geschlossen sind, sondern auch Treffpunkt und Seelentröster. Gefühlt hat er immer auf. Sowohl unter der Woche, wie auch am Wochenende und an Feiertagen.
Schon von weit weg erkennt man einen Späti an den angebrachten Lotto- und Post-Reklamen. Wer durch die Fensterscheiben blickt, erkennt ein paradiesisches Sortiment an Getränken, Süßigkeiten, Zeitschriften und Tabakwaren. Für die Berliner ist er heutzutage nicht mehr wegzudenken. Doch wo kommt er eigentlich her?
Lange Zeit war das Leitungswasser in Berlin gesundheitsgefährdend. Als Alternative galt Bier und Schnaps, was Alkoholprobleme in der Gesellschaft auslöste. In den Fabriken gab es die so genannte „Schnapsspende“, um den Durst der Arbeiter zu stillen. Wie man sich vorstellen kann, hatte die Polizei alle Hände voll zu tun.
Gegen 1859, mit dem Auftauchen der Mineralwasserflasche, entstanden die ersten Kioske. Der Berliner Architekt Martin Gropius erstellte den Entwurf. Am Anfang wurde der Späti „Bewegliche Trinkhalle“ genannt und war ein Ort, an dem nur alkoholfreie Getränke verkauft wurden.
Der Begriff „Späti“, wie auch das umfassende Angebot kommen aus der DDR. Für die Schichtarbeiter, die tagsüber keine Zeit für Lebensmitteleinkäufe hatten, wurden die langen Öffnungszeiten eingeführt. Somit wird seitdem spät oder auch die ganze Nacht verkauft.
Ferhat Tiryaki besitzt seit 2012 den „Späti Campus“ in der Weichselstraße in Berlin Neukölln.
Wann sind die Stoßzeiten?
Abends, so ab 18 Uhr fängt‘s an. Am Wochenende gibt es die meisten Leute. Im Sommer spielt der Wochentag keine Rolle, dann ist immer viel los.
Verrücktes Erlebnis?
Hier wurde mal Bauchtanz gemacht. Das war ein Junggesellenabschied, mit irgendeinem Wettkampf. Sie ist hier reingekommen und hat einen echt guten Bauchtanz gemacht. Dafür durfte sie sich was aussuchen. Dann gehen hier auch Politiker ein und aus. One Republic hat hier ein Musikvideo gedreht. Auch der Kräuterlikör Kümmerling hat den Späti mal gemietet, um einen Werbefilm zu drehen. Den gibt’s auf Youtube.
Gab es hier schon mal einen Überfall?
Nein, das ist bei uns zum Glück noch nie passiert.
Wie lange habt ihr geöffnet?
Bis um 1 Uhr unter der Woche und am Wochenende bis um 3 Uhr.
Berliner Spätis sollen laut Gesetz sonntags nicht mehr geöffnet haben. Wird die Regel ernst genommen?
So halb-halb. Wir haben eine Zeit lang sonntags zu gemacht. Manchmal machen wir kurz mal Mittags auf. Die Spätis in der Nähe haben meistens auf.
Können sie Probleme bekommen?
Die Polizei war letztes Jahr ziemlich aktiv. Irgendwann haben sie es dann aber wieder eingestellt. Das Ordnungsamt kommt häufiger.
Wie geht es dir dabei, wenn Kunden mit Alkoholproblemen oder Betrunkene reinkommen?
Hier kommen nicht viele Stockbesoffene rein. Ich achte darauf. Generell haben wir so ein Publikum nicht.
Stimmt es, dass viele Späti-Besitzer türkische Wurzeln haben und woran kann das liegen?
Ich finde es ist multikulti, aber stimmt schon. Eine große Zahl ist aus der Türkei. Keine Ahnung woran das liegt. Berlin ist ja generell seit den 60er Jahren die Heimat vieler Türken. Ob Imbissbuden, Dönerbuden oder Supermärkte, Türken sind geschäftstüchtige Leute.
1961 kam mein Vater hierher. Laut ihm war das nicht so ´ne lebendige Ecke. In Istanbul kann man 24 Stunden am Tag alles machen. Vielleicht hat es damit zu tun. Schon in den 80er Jahren haben türkische Supermärkte versucht, sonntags zu öffnen. Da gab es aber viele Razzien.
Wie ist das mit der Konkurrenz? Was muss man machen, um hervorzustechen?
Über die Konkurrenz hab ich mir ehrlich gesagt noch nie Gedanken gemacht. Jeder hat seine Kundschaft. Es ist auch überhaupt kein Konkurrenzkampf oder Wettbewerb zwischen uns. Ich verstehe mich mit allen hier sehr gut. Man hilft sich gegenseitig. Wenn ihnen etwas fehlt, kriegen sie es hier. Es ist ein gutes Miteinander.
In Zusammenarbeit mit Hannah Majdic